Die Jungs oder Ein Kind reicht vollkommen

Mittags an einem ruhigen, unkomplizierten Tag mit der besten Tochter von allen erreicht mich eine SMS von meiner Freundin. Ob es in Ordnung sei, wenn uns Freunde abends für eine Stunde ihre Kinder vorbeibringen, fragt sie. Ich schaue kurz in das wie immer strahlende Gesicht der Tochter, kann mir die gleichzeitige Betreuung von zwei Kleinkindern (3 und 1,5 Jahre alt) und einem Baby aber nicht so recht vorstellen und antworte zögernd: „Oha, ich alleine mit drei Kindern? Naja, passt schon.“ Sind ja schließlich gute Freunde, die Eltern.

Ein wenig bestürzt, dass ich denken könnte, sie würde mir die gleichzeitige Betreuung von dreierlei Kindern antun können, versichert mir meine Freundin, dass sie zu dieser Zeit natürlich längst wieder da sei. Die beiden Jungs würden dann um 18 Uhr von ihrer Mutter gebracht und nach einer Stunde wieder abgeholt. Na dann, gar kein Problem, denke ich, sage ihr zu und widme mich wieder vollständig der Belustigung der besten Tochter von allen, das Thema Kinderbetreuung vollständig im Archiv der Kleinhirnrinde vergrabend.

Bis mich um 17:30 Uhr eine erneute SMS erreicht: „Ich schaffe es nicht rechtzeitig, sorry!“ Natürlich, denke ich, musste ja so kommen. Langsam beginnt sich kalter Angstschweiß auf meiner Hautoberfläche auszubreiten. Ich schüttele mich mal kurz. Reiß dich zusammen, sage ich mir. Drei Kinder auf einmal, pah. Kann ja nicht so schlimm sein…

17:55 Uhr. Es klingelt an der Tür. Ich schlucke noch mal kräftig, nehme die beste Tochter von allen auf den Arm und öffne. Die beiden Jungs stürmen die Treppe zur Wohnung hoch und begrüßen mich mit einem freudigen Hallo. Also der ältere, der jüngere kann noch kein Hallo. Die Mutter bedankt sich überschwänglich bei mir. „Kein Problem“, sage ich mit dem selbstsichersten Lächeln, das mir gerade noch möglich ist. Innerlich zittere ich. Die Mutter hat es eilig, sie muss zu einem Termin. Mit Malen könne man die Jungs ganz gut beschäftigen, ruft sie mir von der Treppe aus noch zu, dann ist sie verschwunden.

Ich schließe die Tür. „WIR SPIELEN BOOOOOT!!!“ schallt es in der gleichen Sekunde durch die Wohnung. Der Größere, er springt auf der Couch auf und ab und droht entweder in die Lücke hinter der Couch oder gegen den Couchtisch davor zu knallen. Aus einer anderen Ecke der Wohnung tönt ein lautes „Haben, haben, haben“ an mein Ohr. Sehr eindringlich vorgetragen vom jüngeren der beiden. Ich sehe nach und entdecke ihn (es ist noch Weihnachtszeit) vor meinem Schokoadventskalender, der mir jetzt seit mehr als dreißig Jahren jedes Jahr von meiner Mutter feierlich überreicht wird. Damit die Stimmung nicht kippt – wäre ja der Super-GAU -, gebe ich nach. Das heutige Türchen war eh noch nicht geöffnet.

Dankend nimmt es der Jüngere entgegen. „Was ist das?“ Hinter mir steht der Ältere und hat sein Bootsspiel wohl gerade unterbrochen. Seinen großen Augen entnehme ich, dass er sehr genau weiß, was „das“ ist. Der Gerechtigkeit halber öffne ich das Türchen des morgigen Tages und gebe ihm die Schokolade. Macht mich ja eh nur dick. Die nächste Salve des „haben, haben, haben“ des Jüngeren blocke ich selbstbewusst ab und stelle den Adventskalender wieder weg. Die nächsten Türchen gehören Vati, denke ich, aber das nächste „Haben“-Stakkato wird zusätzlich durch Einsatz des Zeigefingers und deuten auf den Kalender unterstrichen. Ruhig bleiben und Ablenkung schaffen, nehme ich mir vor.

Malen beschäftigt sie, hat sie doch gesagt, die Mutter. Sind wir natürlich nicht drauf vorbereitet. Kann die beste Tochter von allen ja noch nichts mit anfangen. Nach kurzer Überlegung ziehe ich ein Stapel Blätter aus dem Drucker und werfe sie, zusammen mit ein paar Kugelschreibern und Textmarkern vom Schreibtisch, zwischen die in der Zwischenzeit auf dem Boden herumtollenden Jungs. „MALEN!!!“ schreit der Ältere. Ich lächele, er hat mich verstanden. Auch der Jüngere greift nach Vorbild seines Bruder zum Stift, zeigt aber eindeutig Probleme damit, seine Federführung auf das Blatt zu beschränken. Nach kurzer Zeit ziehen sich kräftige blaue Striche über unser Laminat, ich verbuche es als Erfahrungswert.

Die durch das Malen ausgelöste Ruhe hält nur kurz, dann sind die Brüder uneinig im Einsatz des Stifts. Der vom Jüngeren verwendete „Frankfurter Rundschau“-Kuli hat das Interesse des Älteren geweckt. Lautstark und mit Körpereinsatz wird um das schlichte Werbegeschenk gestritten, mir gehen die Alternativen aus. „WIR SPIELEN BOOOT!!!“ rufe ich und unterbreche damit sofort die gegenseitigen Zwistigkeiten. Einhellig stürmen die beiden Jungs die Couch und stellen deren Federung auf eine Belastungsprobe. Ich hole kurz Luft, ein Gedanke an meine Tochter schießt in meinen Kopf. Eigentlich wollte ich sie abgelegt haben, tatsächlich befindet sie sich aber immer noch auf meinem Arm und ist mittlerweile über mein Hin-und-her-Rennen und die fehlende Beachtung meinerseits in einen tiefen Schlaf gefallen. Wenigstens sie spielt mit, denke ich und versuche zumindest an ihrer Situation nichts zu ändern.

Die beiden Jungs haben sich in der Zwischenzeit aufgeteilt. Der Ältere bespringt immer noch unsere Couch und hat dabei die reichlichen Kissen auf den ganzen Wohnzimmerboden verteilt. Stören ja auch nur beim Springen. Der Kleinere steht vor unserem bis zum Boden reichenden Fenster und sieht auf die Straße. „Mama?“ spricht er und zeigt auf die Straße runter. „Die kommt gleich wieder“ lächele ich ihm zu, und denke, fang jetzt bloß nicht an zu heulen, Kleiner. Er entdeckt irgendeinen Strauch, der sich vor ihm in einer dünnen Glasvase auftut, die ungefähr seiner Körpergröße entspricht. Scheint meine Freundin aufgestellt zu haben. Mit den Fingern fängt er an, daran herum zu fuchteln. Die Glasvase kommt ins Schlingern. Artistisch fange ich sie mit dem Fußgelenk ab und bugsiere ihn mit der rechten Hand vom Fenster weg, während die beste Tochter von allen auf meinem linken Unterarm schläft. In der nächsten Sekunde ist der Kleine verschwunden.

Nachdem ich die Vase aufgestellt habe, suche ich ihn. Der Größere befindet sich mittlerweile in einem Filzkästchen, in dem wir normalerweise unsere Fernbedienungen aufbewahren und treibt durch das Kissenmeer unseres Wohnzimmers. Wohl sein neues Boot. Den Kleinen finde ich im Kinderzimmer vor dem Wickeltisch. Von der Tür aus versuche ich zu sehen, was er da ein paar Zentimeter vor seinen Augen fixiert. Mir fällt ein, dass wir in dem Fach auf seiner Kopfhöhe auch die Utensilien für die Nagelpflege der besten Tochter von allen aufbewahren. Stört die ja nicht. Kommt die ja noch nicht ran. Der Kleine schon. Voller Panik stürze ich nach vorne und reiße ihm mit meiner einzig freien Hand die Nagelschere aus den Fingern. Er strahlt mich an. Mit beiden Augen. Gerade noch mal gut gegangen.

Aus dem Wohnzimmer ein Schrei. Ich stürze rüber. Der Größere ist beim Springen zwischen zwei Couchteilen stecken geblieben. Die Befreiungsaktion wird mit weiterem Springen goutiert. Ich entschließe mich trotzdem, lieber weiter nach dem Kleinen zu sehen, der nebenan im Kinderzimmer einen Holzapfel beäugt. Zielsicher den einzigen gegriffen, der über einen äußerst spitzen Stil verfügt. Auch diesen entreiße ich ihm – da bewegt sich ein Schlüssel in der Tür. Meine Freundin ist da und steht jetzt mit weit geöffnetem Mund, das Chaos betrachtend, im Eingang. Wortlos trete ich auf sie zu, gebe ihr unser Kind in den Arm und streife eine Jacke über die sich ausbreitenden Schweißflecken meines Hemds.

Kurz auf die Straße, Luft holen, denke ich. Ich sehe auf die Uhr. Gerade mal eine halbe Stunde ist seit dem Eintreffen der beiden Jungs vergangen. Gefühlt waren das zwei Stunden. Vielleicht doch nicht so schlecht, ein Einzelkind, denke ich noch in der Hitze des Gefechts. Als ich wieder nach oben komme, sitzen meine Freundin mit unserer Tochter und die beiden Jungs in fröhlicher Eintracht und totaler Stille auf der Couch und lesen ein Buch. Kein Wunder, ich hab ja auch alles aus ihnen herausgeholt.

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Augenbling oder ich hab nichts gemacht

Meine Tochter ist noch zu klein um irgendetwas anzustellen, aber irgendwie muss ich jedes mal  wenn ich den Refrain von „Augenbling“ höre daran denken, das wahrscheinlich nur ein Wimpernklimpern der kleinen Reichen würde nachdem sie Schuld auf sich geladen hätte um ihr alles zu vergeben und zu vergessen. Findet sie hoffentlich niemals raus. 🙂

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Scream – oder besuch beim Kinderarzt

Wooha, der erste Tag in Elternzeit. Na ja, eigentlich ist’s noch Resturlaub, aber egal. Einziger, aber direkt größerer Programmpunkt heute ist der Besuch beim Kinderarzt (U5 für Eingeweihte). Groß, weil die Dame des Herzens die letzten beiden Untersuchungen alleine mit dem besten Kind von allen absolvieren musste und sich in dieser Zeit einen Wissensvorsprung aneignen konnte. Aus ihren Erzählungen weiß ich, dass die Schreiqualität der Kleinen beim Kinderarztbesuch mit der des Menowar-Leadsängers gleichzusetzen ist. Das scheint so zu sein, seit der Arzt dem Kind die ersten Impfungen verabreicht hat. Wohl etwas nachtragend, die beste Tochter von allen. Laut den Berichten der Mutter fängt das beste Kind von allen mit dem Schreien an, sobald der Arzt den Raum betritt. Ende des Schreivorgangs: erst wieder bei Verlassen der Praxis. Wird schon nicht so wild sein, denk ich beim Trinken des morgendlichen Kaffees, um den Schlaf abzuschütteln. Denn fest steht schon mal: Mann steht in der Vaterzeit früher auf, als wenn er einfach nur in die Agentur schlurfen müsste.

Noch sind keine Anzeichen beim besten Kind von allen festzustellen, ahnt ja auch noch nix, die Gute. Wir spazieren in Richtung Praxis, das beste Kind von allen schläft sofort wieder. Wird entspannt, denke ich…

Wir sind die ersten in der Praxis, werden persönlich begrüßt. Also das beste Kind von allen jedenfalls. Das kennt man da schon. Wir kommen sofort dran, dürfen uns im Untersuchungsraum schon mal frei machen. Also das beste Kind von allen, ich behalte alles an, wäre ja noch schöner. Bisher alles ruhig, wir spielen ein wenig.

Irgendwann betritt eine Arzthelferin den Raum und fängt an, uns mit Fragen zu löchern. Also mich, das beste Kind von allen kann ja noch nicht antworten. Ob wir der Kleinen regelmäßig Vitamin D geben würden, fragt sie. Ich krame im Gedächtnis nach den üblichen Tagesabläufen des besten Kindes von allen. Auf Vitamin D stoße ich da nicht, bin ja aber auch noch nicht so im Thema, ist ja mein erster Tag. Ich verneine. Die Arzthelferin bekommt große Augen, notiert sich wahrscheinlich geistig, dem Arzt noch einen Hinweis zu geben, damit er nach weiteren Spuren der Verwahrlosung am Kind schaut. Dann fällt’s mir ein: Das „D“ vor D-Fluoretten steht wahrscheinlich für das Vitamin gleichen Namens. Ich rudere zurück; ob sie die Fluoretten-Tabletten meint, frage ich. Sie nickt. Ja DIE geben wir ihr natürlich ständig, also täglich. Manchmal jedenfalls. Diese kleinen Mistdinger fallen einem ja meistens dann ein, wenn man bereits vier Mahlzeiten verabreicht hat und das beste Kind von allen sich gerade in den wohlverdienten Schlaf verabschiedet hat. Diese Dinger würden bei uns regelmäßig zu Ehestreit führen, wenn wir denn verheiratet wären. Sag ich der Arzthelferin natürlich alles nicht. Sie gibt sich mit dem Vitaminthema zufrieden und klärt mich noch über Datenschutz auf. Ab der U5 werden ja alle Besuche der Kinder bei den Untersuchungen an ein zentrales Register gemeldet. Um sicher zu stellen dass die Kinder gut versorgt werden und um Missbrauch vorzubeugen, sagt sie mir. Ach, und bei den ersten Untersuchungen ist das wohl egal, frag ich zurück. Sie zuckt mit den Achseln, ist halt so. Na jut.

Beim anschließenden Nacktwiegen des besten Kindes von allen treten erste Hörproben dessen auf, was meine Freundin gemeint haben muss. Ist aber nicht Manowar, denke ich, hab ich schon Schlimmeres mit der Kleinen erlebt. Das ist höchstens Joe Cocker und der schreit ja nicht, der brummt eher so. Nach dem die Vermessungen des besten Kindes von allen abgeschlossen sind, lässt uns die Arzthelferin erst mal wieder allein. Von schreien keine Spur, höchstens Unruhe. Dauert aber auch. Ich nehm die Kleine auf den Arm und wir schauen gemeinsam aus dem Fenster. Spannend so was, immer.

Hinter uns geht die Tür auf und eine männliche Stimme begrüßt uns. Der Arzt. Ich fahre zusammen, erwarte den sofortigen Ausbruch des Vulkans, das Einsetzen des Bebens der Unterlippe, wir drehen uns um, direkter Blickkontakt zwischen Arzt und Kind, jetzt vielleicht? Aber alles bleibt still. Die Mama, denke ich. Übertreibt aber auch immer. Und klopfe mir gleichzeitig für die Idee des Auf-dem Arm-Haltens auf die Schulter. Da er jetzt da ist, will ich sie auf den Untersuchungstisch legen, ich setze dazu an, aber er hebt beide Hände abwehrend in die Höhe und bittet mich, sie noch einen Augenblick auf dem Arm zu behalten. Okay, denke ich, dann mach ich das eben. Sind das Schweißperlen auf seiner Stirn?

Er erläutert mir die gerade ermittelten Werte und gibt grünes Licht. Sehr fein, tue ich meine Begeisterung kund und gebe dem besten Kind von allen einen Kuss. Es zeigt keine Reaktion, fixiert unaufhörlich den Arzt. Der stiert zurück und lächelt, mir wird komisch.

Abwesend greift er nach einer Plastikkiste, fixiert aber weiterhin meine Tochter. Er bittet mich sie auf den Untersuchungstisch zu setzten und schluckt stark. Ich komme seiner Aufforderung nach. Und dann passiert es. Kaum sitzt die beste Tochter von allen auf dem Untersuchungstisch, beugt sich der Arzt mit ein Paar Bauklötzchen zu ihr herunter, um ihre Greifreflexe zu testen, da ertönt das lauteste, verzweifeltste, herzzerreißendste Geräusch das ich jemals aus dem Mund meiner Tochter vernommen habe. Ich reiße die Augen auf, bin trotz Vorwarnung überrascht. Der Arzt tönt über die Stimme der Tochter etwas von „Greifreflexen“ und versucht verzweifelt, ihr einen kleinen Würfel in die Hand zu drücken. Irgendwann hat er Erfolg. Die beste Tochter von allen hört mit dem Schreien nur kurz auf wenn sie neue Luft benötigt. Erstaunlich, wie selten das nötig ist. Ich bin noch etwas benommen und stelle erst ein wenig später fest, dass der Arzt mir Zeichen macht, sie jetzt hinzulegen. Machen wir, die beste Tochter von allen streckt im Liegen alle Viere von sich und brüllt weiter. Der Arzt kramt sein Stethoskop hervor und fängt an, das Kind abzuhören. Was er da wohl hören will bei der Lautstärke im Raum, frage ich mich. Er hebt den Daumen und Formt mit seinen Lippen die Worte „Alles in Ordnung“, die auch als leichte akustische Interferenzen an meine Ohren dringen.

Für die nächste Untersuchung muss er das Kind halten, was die Dezibelanzahl, die aus dem besten aller Kinder entweicht, noch ein wenig höher schraubt. „Stützreflexe“ brüllt er, ich nicke verständnisvoll und er beginnt das Kind in verschiedenen Haltungen „simuliert“ abstürzen zu lassen. Die Reflexe sind großartig, die damit einhergehende Lautstärkensteigerung ist es auch. Ich wünsche mir ein Paar dieser Kopfhörer wie sie an Straßenbautrupps verteilt werden. Gibt’s wohl aber nicht in einer Kinderarztpraxis. Der Schweiß auf seiner Stirn wächst mit jeder weiteren Untersuchungsposition an. Dann endlich hat es das beste Kind von allen es geschafft und wird wieder auf dem Untersuchungstisch abgelegt. Ob ich noch Fragen hätte, brüllt der Arzt. Ich schüttele den Kopf, selbst wenn ich welche gehabt hätte, wäre ich nicht im Stande gewesen, sie zu stellen.

Der Arzt verabschiedet sich und die Lautstärke lässt ein wenig nach. Auch ich bin ein wenig in Schweiß gebadet, merk ich aber erst jetzt. Ich ziehe das beste Kind von allen wieder an, packe zusammen und öffne die Tür zum Praxisvorraum. Das geschäftige Treiben an der Anmeldung hält inne, die Blicke der wartenden Mütter sind komplett auf uns gerichtet. Selbst die Sprechstundenhilfen drehen ihre Köpfe nach uns um. Ich meine in einigen Blicken den Vorwurf „Mit der Mutter wäre das nicht passiert“ sehen zu können, bilde ich mir natürlich nur ein. Trotzdem rufe ich den wartenden Frauen ein: „Mit der Mutter ist das genauso!“ entgegen, bereite der besten Tochter von allen den Kinderwagen und verlasse die Praxis. Stille kehrt wieder ein.

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Unterschiede zwischen Müttern und Vätern in der Elternzeit, oder gängige Vorurteile

Frauen sind prädestiniert für die Elternzeit. Schon in jungen Jahren werden ihnen Puppen in die Hand gegeben, die ihnen den Faktor Kind ans Herz legen. Zwar noch ohne die sonstigen Begleitumstände (Füttern, Wickeln, Schreien) die mit einem solch kleinen Lebewesen immer einhergehen, aber dennoch erfolgt der Kontakt zum Themengebiet Kind wesentlich früher als bei männlichen Vertretern der Elternschaft.

Bewussten Kontakt zum Thema Kinder bekommt die männliche Seite frühestens im Rahmen der sexuellen Aufklärung und dort auch nur unter der Maßgabe Kinder zu vermeiden indem man auf Mittel der Verhütung zurückgreift.
Schon die Grundvorraussetzungen zum Thema Kind sind für die beiden Geschlechter also völlig verschieden.
Hat man(n) es dann später erfolgreich geschafft das in der Sexualaufklärung gewonnene Wissen in die Praxis zu überführen und das über einen längeren Zeitraum auch immer wieder mit der selben Frau (in diesem Zusammenhang spricht man auch von funktionierender Beziehung) kommt es oft zum zweiten Kontakt des Mannes mit dem Thema Kind. Meist wird es von der Frau an den Mann herangetragen, allerdings für ihn unter vollständig neuen Vorzeichen. Galt es bisher keine Spuren beim sexuellen Akt zu hinterlassen wird er nun aufgefordert bewusst auf die erlernten Schutzmechanismen zu verzichten. Dieser Perspektivwechsel fällt ihm natürlich schwer. Hat die Frau die erwähnten positiven Konotationen des Themas Kind schon in frühen Jahren erlernt, schießen dem Mann, aufgrund seiner stärker praktisch orientierten Herangehensweise an neue Themen sofort die Begleitumstände in den Kopf. Füttern, Wickeln, Schreien und die Aufgabe jeglicher Zweisamkeit für mindestens die nächsten achtzehn Jahre.

Er euphorisiert meist nicht sofort, ändert aber doch meist das gelernte Verhalten und verzichtet auf Schutz.

Die Unterschiede ziehen sich auch durch die Schwangerschaft. Während die Frau die Veränderung direkt spürt, spürt der Mann das einbrechen des neuen Zeitalters erst über die Veränderung der Frau.
In den ersten Monaten zeigt sich dies durch ein verändertes Essverhalten und der Notwendigkeit die Haare der Frau im heimischen Sanitärbereich zu völlig neuen Uhrzeiten nach hinten zu halten.
Die bewusste Freude wächst erst bei gemeinsamen Ultraschallterminen, bei denen das austreten des Kindes zu beobachten ist, lange Zeit aber nicht das Geschlecht festgestellt werden kann. Auch hier gehen beide Partner mit unterschiedlichen Zielsetzungen an das Thema heran. Wünscht sich die Frau meist ein Mädchen (aus Gründen wie „Süß“ oder der Vielfalt der Klamottenauswahl), ist der männliche Partner meist auf einen Jungen fixiert (Fortbestand des eigenen Stammes). Beide Vorbehalte werden aber meist sofort fallengelassen, sobald das Geheimnis um das Geschlecht des Nachfolgenden gelüftet ist.

Gibt es dann im weiteren Verlauf der Schwangerschaft Möglichkeiten zur gemeinsamen Bewusstwerdung des bevorstehenden Ereignisses wie etwa der Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses, ändert sich das gegen Ende wieder.
Bei der Geburt wird die Rolle des Mannes auf die des Beisitzers reduziert. Er muss mit ansehen wie die Frau unter extremsten Schmerzen zu einem völlig unbekannten Menschen wird. Dieses Stadium hält für die Dauer der Geburt an und ändert sich danach wieder.
In das Stadium Mutter. Dauer bislang unbekannt…

Natürlich ist die Freude über die Geburt des Kindes auf beiden Seiten riesengroß. Die erste Zeit verbringt man gemeinsam zu dritt und gewöhnt sich aneinander. Meist ist es dann der Vater der diese Dreifalltigkeit verlässt und Mutter und Kind einer geheimnisvollen Symbiose überlässt. Die zeigt sich am deutlichsten in der Vorwegnahme zukünftiger Ereignisse auf Seiten des Kindes durch die Mutter, noch bevor diese eintreten. Beispielsweise dann, wenn der Vater die geliebte Plattensammlung in gewohnter Rockkonzertlautstärke während der Schlafenszeit des Kindes auflegt wird dies von der mütterlichen Seite beim ertönen des ersten Klanges mit wildem verziehen des Gesichts und sofortigem Sprung zur Lautsärkeregelung der Anlage quittiert um diese auf eine kaum noch hörbare Dezibelanzahl herunter zu drehen. Aus Sicht der Mutter die gewohnte Zimmerlautstärke, aus Sicht des Vaters ein leises Flüstern, das jedes Klangerlebnis zunichte macht. Das Kind interessiert sich natürlich für keine der beiden Lautstärken, es schläft und wird höchstens durch die einsetzende Diskussion der beiden Eltern geweckt.

Gott sei dank gibt es in dieser modernen Gesellschaft auch für Väter die Möglichkeit längere Zeit mit dem Kind zu verbringen. Zwischen Studium und Rente wahrscheinlich die einzige Möglichkeit längere Zeit nichts zu tun und trotzdem Geld zu bekommen.
Allerdings tun sie dies (noch) unter anderen Vorraussetzungen als die Mütter.
Nach bekanntwerden der Absicht als Vater mehr als die obligatorischen zwei zusätzlichen Elternzeitmonate in Anspruch zu nehmen, wird dies von außenstehenden meist positiv aufgenommen. Jedenfalls im persönlichen Gespräch. Einzelne, vorsichtig gestellte Rückfragen ob das denn im Unternehmen des Vaters ginge, und ob man sich nicht alle Karrierewege sofort und auf alle Zeit verbaue, lassen vermuten das dort mehr existiert als pure Bewunderung. Aber auch die rein praktische Durchführung der Elternzeit wirft große Unterschiede zwischen Mutter und Vater auf. Da Schwangerschaften nach neuesten Wissenschaftlichen Erkenntnissen  ansteckend sind, ist die Wahrscheinlichkeit das die Mutter parallel mit einer guten Freundin aus ihrem Freundeskreis das Wunder der Geburt erleben darf. Nach den ersten harten Monaten der Geburt mündet dies dann im gemeinsamen schieben der Kinderwägen im Park und dem trinken von unzähligen Latte Machiatos in Cafés. Auch aus nachgeburtlichen Veranstaltungen wie Rückbildungskursen lassen sich weibliche Bekanntschaften beziehen, die im selben Stadium des Frauseins sind: Mutter. Daraus speist sich ein schier unbegrenztes Freizeitangebot für Mütter und Kinder das für Väter schwer reproduzierbar ist.
Tritt der Vater die Elternzeit an, entfallen diese gesellschaftlichen Beziehungen für ihn. Befreundete Väter mit Kind nehmen eine überschaubare Anzahl am Elternzeitmonaten, so dass Überschneidungen hier relativ selten sind. Soziale Events wie Rückbildungskurse sind für Väter nicht vorhanden. Auf sich alleine gestellt zieht er mit Kinderwagen einsam durch den Park, vorbei an schnatternden und glucksenden Frauengruppen mit Kindern. Kreuzt ein anderer Vater mit Kinderwagen seinen Weg, nickt man sich verwegen zu und geht seiner Wege.

Vorurteile? Drüben bei Väter und Karriere gibt es noch ein paar weitere Eindrücke zu diesen Unterschieden  im Original hier. Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Ab nächste Woche für die kommenden sechs Monate bin ich in Vaterzeit. Und ich freu mich drauf.

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